Die Mutlosigkeit hat ihren tiefsten Grund wohl in einem geheimen Stolze. Man will es nicht begreifen, dass man noch sündigen konnte. Heimlich hatte man sich vielleicht in den Gedanken eingewiegt, dass nun keine Fehler mehr vorkommen würden. Man glaubte, auf sicherem festem Boden zu stehen. Der Fehler war natürlich eine recht schmerzliche Überraschung, ein unsanftes Herausgerissenwerden aus einer schönen Täuschung. Daher zunächst ein großes Verwundern, weil trotz der besten Vorsätze, trotz aller Anstrengungen der Fall stattgefunden hat. Der nächste Schritt ist alsdann die Mutlosigkeit. Dann man sagt sich: "Wenn ich jetzt trotz meines guten Willens und der günstigen Umstände noch sündigte, dann bringe ich es überhaupt nicht mehr fertig, ohne Sünde zu leben."
Die Heiligen haben sich nicht gewundert über ihre Fehler. Sie betrachteten sie als etwas Selbstverständliches. Sie haben sich auch nicht mit dem hochmütigen Gedanken getragen, dass sie nun über der Sünde ständen, dass sie weit in der Vollkommenheit vorangeschritten und über das Land der Sünde längst hinaus wären. Weil sie sich ihrer Schwäche immer bewusst blieben, wunderten sie sich gar nicht darüber, dass sie Fehler begingen. Der ehrwürdige Vinzenz Palotti, der sicher eine hohe Stufe der Vollkommenheit erreicht hatte und die Sünde hasste, wie sie nur ein Mensch hassen kann, pflegte bei etwaigen Fehlern zu sagen: "Wie das Erdreich, so die Frucht." Das heißt mit andern Worten: "Ich wundere mich gar nicht, dass solche Dinge bei mir vorkommen. Ich wundere mich im Gegenteil, dass nicht viel Schlimmeres geschieht."
Du tust daher gut, eine recht bescheidene Meinung von dir selbst zu behalten. Wer überzeugt ist, dass er bei allem ehrlichen Streben nach Heiligkeit immer noch ein schwacher Mensch bleibt, der ohne die Gnade Gottes nichts kann, dem wird es zwar eine empfindliche Demütigung sein, wenn er sich in der Stille jene Schuld eingestehen muss; aber sie wird ihn nicht aus dem Gleise werfen. Er weiß ja ganz gut, dass alles Große nur langsam heranwachsen kann. Hat doch der Heiland selber gesagt: "Mit dem Reiche Gotttes verhält es sich wie mit einem Manne, der Samen auf seinen Acker sät. (Mark 4, 26). Monate lang wartet der Landmann, bis die Saat heranreift. Wie oft muss er bangen und fürchten, wie oft kommen Rückschläge, wie manches Mal betet und opfert er, damit Gott seine Arbeit segne. Viele Schädlinge schleichen sich an seine so schöne Saat; aber er verliert den Mut nicht, sondern arbeitet unverdrossen weiter, bis die Ernte seine Mühen reichlich lohnt.
Es ist auch gewiss nicht nötig, sich allzusehr über einen Fehler zu verwundern. Die Heiden hatten ein Sprichwort, das hieß: "Ich bin ein Mensch, und nichts Menschliches ist mir fremd." Solange wir Menschen sind und auf dieser armen Erde wandeln, müssen wir immer mit der Möglichkeit rechnen, dass wir fehlen, auch wenn wir den besten Willen haben, nicht mehr zu sündigen. Fehler sind ja kein Zeichen, dass es um unsere Seele schlecht steht. Oder glaubst du, jemand erreiche deshalb sein Ziel nicht, weil er stolpert und öfters stolpert? Oft liegt die Schuld, dass wir fehlen, weniger an uns als an den Verhältnissen, in denen wir stehen. Jemand, der weit hinter der Front sich befindet, braucht nicht zu fürchten, dass eine Kugel ihn trifft. Steht aber einer mitten im Vordertreffen, wo ihn die Kugeln umsausen wie die Schneeflocken im Winter, so braucht man sich nicht wundern, dass er getroffen wird. Wie oft kommt es vor, dass Leute, die daheim in friedlichen, wohlgeordneten Verhältnissen kaum einen Fehler begehen, draußen in der Stadt gar bald von einer Sünde in die andere fallen. Auch von den Mitmenschen hängt es ab, ob wir viele oder wenige Fehler begehen. Mit friedlichen, gutmütigen Menschen ist leicht zusammenarbeiten. Leute, die immer gefällig und freundlich und dabei tüchtig sind, geben uns nicht oft Anlass zur Sünde, während stolze, anmaßende, mürrische, faule, geschwätzige uns ständig zum Falle werden können und auch werden, wenn wir nicht alle Kraft zusammennehmen, um selber ruhig und gelassen zu bleiben. Manche Arbeiten sagen uns besser zu, man kann sie langsam und ruhig verrichten, niemand belästigt uns, niemand kommt uns in die Quere, niemand stört uns. Da hat man leicht selber brav sein. Steht man aber an einer Arbeit, die an sich schon lästig und schwer ist, wo alle Welt einen bedrängt, wo unsere Mühen und Opfer nicht anerkannt werden, wo jeder einem dreinredet und alles besser wissen will, so braucht man sich wahrhaftig nicht zu wundern, dass Fehler und Sünden vorkommen, die wir selber bedauern. Wo viel Kampf ist, da gibt es gewöhnlich auch Wunden, und wer außerhalb der Schussweite sich befindet, hat keinen Grund, sich mit seiner Unversehrtheit zu brüsten.
Es ist also nicht immer ein schlechtes Zeichen, wenn man Fehler begeht. Ohne besonderes Gnadengeschenk Gottes wird es überhaupt keinem Menschen gelingen, ganz ohne Fehler zu bleiben. Es ist auch noch nicht einmal ein schlechtes Zeichen, wenn mehr Fehler vorkommen als früher, sooft das durch andere Arbeiten, andere Umgebung, andere Verhältnisse, durch augenblicklichen Gesundheitszustand bedingt ist.
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